02 Rechtliche Organisation in digitalen Projekten
Die wichtigste Massnahme zur Verhinderung des eingangs zu diesem Kapitel geschilderten Worst Case bei einem Start-up wäre eine möglichst frühe Vereinbarung unter den Partnern gewesen. Bevor man ein Projekt startet, setzt man damit die dafür geltend Regeln fest. Diese bilden die rechtliche Basis des Projekts.
Ziel und Zweck
Dabei dient eine solche Vereinbarung einerseits als Guideline für die Führung des Projekts, anderseits ist sie aber eben auch auf Veränderungen im Projekt oder in dessen Umfeld und den Umgang damit (sog. Changemanagement) sowie auf eigentliches Worst Cases gerichtet.
Guideline
Vorab sollte ein Partnervertrag das Projekt an sich beschreiben und erklären. Dies auch für das Verständnis durch Dritte, die beim Vertragsabschluss nicht dabei waren und die in irgendeiner Form mit der Erfüllung oder Interpretation des Partnervertrages konfrontiert sind, z.B. auch in einer späteren rechtlichen Auseinandersetzung. Jedoch ist ein Partnervertrag kein Businessplan, sondern dient dessen Umsetzung. Ein Businessplan könnte allenfalls in den Anhang des Partnervertrags gelegt werden.
In einem nächsten Punkt regelt ein Partnervertrag die Organisation des Projekts, insbesondere die personelle, also wer welche Aufgaben, Funktionen und/oder Positionen (z.B. Geschäftsführung) einnimmt. Dabei sollte auch geklärt werden, ob die Partner selbständig agieren oder in einem Angestelltenverhältnis nach Art. 319 ff. des Schweizerischen Obligationenrechts (OR, Einzelarbeitsvertrag) stehen. Dieser Punkt ist vor allem auch sozialversicherungsrechtliche essentiell und kann grosse finanzielle Auswirkungen haben. Denn für Mitarbeiter nach Art. 319 ff. OR muss der Arbeitgeber Sozialversicherungsbeiträge bezahlen und solche Beträge können von den Sozialversicherungen bis zu fünf Jahren zurückverlangt werden (s. auch Kapitel 03 Arbeitnehmer in der digitalen Welt). Handelt es sich um ein Angestelltenverhältnis, muss im Vertrag auch unbedingt festgehalten werden, ob die Partner einen Lohn beziehen und wenn ja, ab welchem Zeitpunkt und in welcher Höhe. Diesbezüglich kommt es insbesondere bei Start-ups häufig zu Auseinandersetzungen.
Auch wenn das OR dafür dispositiv auch Regeln enthält, ist es ratsam, in einem Partnervertrag zu bestimmen, wie welche Beschlüsse über welche Geschäfte gefällt werden, insbesondere mit welchem Quorum. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es bei einer geraden Zahl von Partnern zu einer Pattsituation kommen kann, die so nicht stehen lassen kann, sondern einer Auflösung zugeführt werden muss (s. dazu auch nachfolgend «Changemanagement»).
Sowohl Gewinne, wie auch Verluste eines Projekts können zum Zankapfel werden. Auch dazu kennt das OR dispositive Regeln, jedoch ist es auch diesbezüglich zu empfehlen, dass sich die Partner darüber vorgängig über deren Verteilung bzw. Tragung im Rahmen eines Vertrages Gedanken machen.
Nicht nur mit externen Partnern (s. vorne), sondern auch unter den Projektpartnern sollte ein Non-Disclosure Agreement (NDA) und ein Non-Use-Agreement (NUA) abgeschlossen werden. Sowohl NDA, wie auch NUA werden in Kapitel 04 Verträge in digitalen Projekten detailliert beschrieben.
Speziell in digitalen Projekt, wo es vornehmlich um geistiges Eigentum bzw. Immaterialgüterrecht (s. Kapitel 08 Innovationsschutz von digitalen Produkten) geht, ist eine Vereinbarung über die Rechte an Innovationen, die in Zusammenarbeit der Projektpartner entstehen, essentiell. Dabei muss geregelt werden, wer Eigentümer von entsprechenden Innovationen (auch nicht immaterialgüterrechtlich schützbare) ist bzw. wird, wer diese allenfalls registrieren darf und unter welchem Namen, sowie, wie diese Innovationen verwertet bzw. kommerzialisiert werden. Im Sinnes des Worst Case (s. nachfolgend) sollte dabei auch festgehalten werden, was mit diesen Rechten passiert, wenn das Projekt vorzeitig oder regulär beendet wird.
Zu den Punkten, die in Partnerverträge oft geregelt werden, gehört auch die Aufnahme von neuen Partnern, insbesondere Investoren. Dabei muss u.a. bestimmt werden, wie diese in das Projekt integriert und allenfalls an diesem finanziell beteiligt werden. Problematisch ist in dieser Situation regelmässig, dass bestehende Partner ein Stück ihres Kuchens abgeben müssen oder dass der Kuchen vergrössert wird, in Gesellschaften das Kapital erhöht wird; was zur sog. Verwässerung der Anteile der bisherigen Partner führen kann.
Changemanagement
«Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt». Dieses Sprichwort trifft gerade auch auf Long-Term Relationships zu, wie es eben Partnerschaften sind. Und weil dies so ist, sollte man auch im Voraus regeln, wie man mit veränderten Umständen umgeht bzw. was zu tun ist, wenn man sich diesbezüglich unter den Partnern nicht einig ist. In Kapitel 11 Dispute Resolution und Rechtsdurchsetzung in der digitalen Welt wird dafür ein sogenanntes Eskalationsverfahren beschrieben, das auch in einem Partnervertrag vereinbart werden kann. «Eskalation» bedeutet in diesem Kontext ein Verfahren, das die Partner aus der Meinungsverschiedenheit hinaus zu einer Lösung führt.
Worst Cases
Für ein Projekt ist es generell essentiell, dass die Partner an dessen Realisierung glauben und positiv gestimmt sind. Aus juristischer Sicht ist es jedoch wichtig, dass man bei der Redaktion eines Projekt- bzw. Partnervertrages, wie bei der Redaktion jedes Vertrags (s. Kapitel 04 Verträge in digitalen Projekten, Vertragsgestaltung) auch überlegt, was alles schiefgehen könnte («Anything that can go wrong will go wrong»). Und dafür sollte schon der Partnervertrag Handlungsanweisungen vorsehen. Einer dieser Worst Cases ist der Austritt eines Partners aus dem Projekt. In diesem Moment fragt sich u.a. ob der Partner für seinen Einsatz eine Entschädigung erhält und wenn ja, in welchem Umfang, ob er allfällige Beteiligungsrechte (z.B. Aktien) zurückgeben muss und ob und in welchem Umfang diese entschädigt werden sowie, was mit Rechten an Innovationen (s. Kapitel 08 Innovationsschutz von digitalen Produkten) passiert, an die der austretende Partner allenfalls Miteigentum erworben hat.
Gerichtsstand und anwendbares Recht
Vor allem in internationalen Projekten ist es sehr wichtig, auch Gerichtsstand und anwendbares Recht für allfällige rechtliche Auseinandersetzungen und die Auslegung (Interpretation) des Partnervertrages zu bestimmen. Denn es macht einen grossen, nicht zuletzt auch finanziellen Unterschied, ob solche Rechtshändel am eigenen Ort in der eigenen Sprache und unter eigenem Recht oder eben im Ausland oder in der Schweiz, aber in einem anderen Sprachgebiet ausgetragen werden.