07.02 Kartellrecht

07 Wettbewerbsrecht in der digitalen Welt

Aufgabe des Kartellrechtes (KG) ist es, zu verhindern, dass der Wettbewerb, insbesondere durch Kartelle und Fusionen, abkühlt. Das Kartellrecht will also den Wettbewerb anheizen.

Zuständige Behörde für die Aufsicht über und die Durchsetzung der kartellrechtlichen Regulierung ist in der Schweiz die Wettbewerbskommission (WEKO).

Schon im Zweckartikel 1 KG wird festgestellt, dass lediglich Praktiken, die für den Markt schädlich sind, gemäss Kartellrecht nicht zulässig sind. Basierend auf diesem Grundsatz kann es also sogar sein, dass ein Kartell von der WEKO als zulässig taxiert wird, obwohl es den Markt beschränkt, weil es effektiv keine negativen, ja sogar positive Auswirkungen auf den Markt hat. Dies wurde z.B. lange vom schweizerischen Bücherkartell behauptet, in dem die Verlage mit den Buchhändlern die Buchpreise fixiert haben. Die Befürworter des Kartells behaupteten, die durch das Kartell tendenziell generell höheren Preise förderten einen vielfältigen Buchmarkt, weil Verleger und Buchhändler z.B. mit den zu teuren Bestseller Bücher quersubventionieren konnten, die weniger gut liefen, aber das Buchangebot bereicherten (z.B. Lyrik, teure Fotobücher). Die WEKO hat 1999 das Bücherkartell verboten. Das Volk hat im Jahre 2012 im Rahmen eines Referendums die Wiedereinführung des Buchkartells mittels Bundesgesetz über die Buchpreisbindung abgelehnt (s. www.bk.admin.ch/ch/d/pore/va/20120311/index.html).

Die kartellrechtlichen Regeln kommen gemäss Art. 2 KG auf das Verhalten aller Unternehmen des privaten und des öffentlichen Rechts zur Anwendung. Als Unternehmen gelten dabei sämtliche Nachfrager oder Anbieter von Gütern und Dienstleistungen im Wirtschaftsprozess, unabhängig von ihrer Rechts- oder Organisationsform.

Kartellrechtliche Fälle

Das Recht unterscheidet generell zwischen drei wesentlichen Fällen kartellistischen Verhaltens.

Wettbewerbsbeschränkende Abreden gemäss Art. 4 Abs. 1 KG und Art. 5 KG sind rechtlich erzwingbare oder nicht erzwingbare Vereinbarungen sowie aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen von Unternehmen gleicher (horizontale Abreden; landläufiges «Kartell») oder verschiedener (vertikale Abreden) Marktstufen, die eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken oder bewirken. Liegen solche Abreden vor, ist gemäss Gesetz zu vermuten, dass damit effektiv der Markt beseitigt wird. Die betroffenen Marktteilnehmer können jedoch den Beweis erbringen, dass dies nicht der Fall ist, weil die Abreden positive Auswirkungen auf den Markt haben (wirtschaftliche Effizienz, Art. 5 f. KG; s. dazu auch vorne der Fall des Bücherkartells).

Unternehmen mit einer marktbeherrschenden Stellung gemäss Art. 4 Abs. 2 KG unterliegen der dauernden Gefahr, diese im Sinne von Art. 7 KG zu missbrauchen (dazu nachfolgend). Als marktbeherrschende Unternehmen gelten einzelne oder mehrere Unternehmen, die auf einem Markt als Anbieter oder Nachfrager in der Lage sind, sich von andern Marktteilnehmern (Mitbewerbern, Anbietern oder Nachfragern) in wesentlichem Umfang unabhängig zu verhalten (Art. 4 Abs. 2 KG). Unzulässig gemäss Art. 7 KG ist nicht die Marktbeherrschung, sondern deren Missbrauch. Ein illustratives Beispiel für den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ist der Fall des Internet-Browsers von Microsoft. Auch wenn der Marktanteil des Microsoft-Betriebssystems in den letzten Jahren abgenommen hat, läuft Windows Ende 2017 immer noch auf über 90 % der Desktop-Systeme (s. z.B. www.borncity.com). Weil über das Betriebssystem auch die Internet-Browser als Tor zum Internet installiert werden, hat die EU-Kommission Microsoft 2009 verpflichtet, bei der Installation des Betriebssystems Windows ein Popup einzurichten, bei dem der Nutzer die Möglichkeit erhält, eine oder mehrere andere Browser, als oder neben dem Internet-Browser «Internet Explorer» von Microsoft zu installieren. 2013 hat die EU-Kommission festgestellt, dass Microsoft diese Auflage nicht oder nicht genügend erfüllt hat und hat Microsoft in der Folge zu einer Busse von 561 Millionen Euro (sic!) verdonnert, mit der Begründung, Microsoft hätte seine Marktmacht im Bereich der Betriebssysteme bzw. Internet-Browser missbraucht (s. z.B. Spiegel Online 06.03.2013 EU verdonnert Microsoft zu 561-Millionen-Strafe).

Kartellrecht
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Unternehmenszusammenschlüsse (Fusionen) bilden den dritten kartellrechtlichen Fall. Nach Art. 4 KG i.V.m. Art. 9 KG müssen Unternehmenszusammenschlüsse mit einem gewissen Umsatzvolumen der WEKO gemeldet werden. In der Folge prüft die WEKO, ob durch den nämlichen Zusammenschluss der Wettbewerb zum Schaden der Nachfrager bzw. der Anbieter (s. vorne) eingeschränkt wird. Ist dies der Fall, kann die WEKO entweder den Zusammenschluss verbieten oder den Zusammenschluss unter bestimmten Auflagen erlauben. Ein interessantes Beispiel dafür ist der Kauf des Detailhandelsunternehmen Denner durch den Detailhandelskonzern Migros. 2007 hat die WEKO diesem Zusammenschluss zum Erstaunen vieler zugestimmt, jedoch unter bestimmten Auflagen, insbesondere wurden Migros und Denner verpflichtet, die Waren, die für den Wiederverkauf bestimmt sind, getrennt zu beschaffen. Ihren positiven Bescheid begründete die WEKO im Wesentliche damit, dass der Wettbewerb im Detailhandel, insbesondere durch die zahlreichen ausländischen Anbieter, die bereits im schweizerischen Markt aktiv seien oder in Zukunft noch aktiv sein werden, so gross sei, dass der Zusammenschluss von Migros und Denner keinen wesentlichen bzw. negativen Effekt auf diesen Wettbewerb habe. Die Entwicklung seit 2007 hat dies ja offensichtlich bestätigt, insbesondere sind die Detailhandelspreise ständig gefallen. (s. dazu Info WEKO 04.09.2007).

Kartellrechtliche Verfahren

Bei Verdacht auf einen Verstoss gegen das Kartellgesetz sieht dieses drei mögliche Verfahren vor. Erstens können betroffene Marktteilnehmer gemäss Art. 12 ff. KG gegen den mutmasslichen Verletzter vor einem Zivilgericht klagen. Die WEKO kann aber auch von sich aus oder auf Anzeige hin gemäss Art. 18 ff. KG ein Verwaltungsverfahren eröffnen. Im Rahmen dieses Verwaltungsverfahrens kann die WEKO selber Sanktionen gegen kartellistisches Verhalten erlassen. Und diese haben es in sich! Bei unzulässigen Wettbewerbsbeschränkungen können die Bussen bis zu 10 % des Umsatzes der letzten drei Jahre in der Schweiz betragen. Insbesondere wegen Verstössen gegen Anordnungen gegen Verfügungen der WEKO sind auch eigentliche strafrechtliche Sanktionen gemäss Art. 54 ff. KG vorgesehen.

Wenn Algorithmen Kartelle bilden

Preisabsprachen finden längst nicht mehr nur in verrauchten Hinterzimmern statt, sondern Unternehmen bilden vermehrt auch im digitalen Raum Kartelle. So haben etwa Fluggesellschaften über eine Datenbank Flugpreise abgestimmt. Oder Reisebüros haben eine Software als Mitteilungsdienst genutzt, um das Verhalten zwischen verschiedenen Unternehmen abzustimmen. In einem weiteren Fall haben Firmen Verkäufe von Postern über Amazon koordiniert und dabei die Preise durch den Einsatz von Algorithmen abgesprochen. Kartelle verlagern sich also zunehmend ins Internet. Mit dem Vormarsch der künstlichen Intelligenz steigt zudem die Gefahr, dass selbstlernende Algorithmen stillschweigende Preisabsprachen treffen (s. auch Beitrag ntv 23.07.2018 Können Algorithmen Kartelle bilden?).

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