09 Haftung in digitalen Projekten
Shift von Verschuldens zu Kausalhaftung (Produktehaftung)
Roboter drängen den Menschen zunehmend aus den Arbeits- und Handlungsprozessen, was aus haftungsrechtlicher Sicht dazu führt, dass sie auch nicht mehr für Fehler verantwortlich gemacht werden können. Der Roboter selber kann auch nicht Subjekt einer Haftpflicht werden. In den haftungsrechtlichen Mittelpunkt rückt darum immer mehr das Produkt selbst und ein damit verbundener Fehler. Dies ist ein typischer Fall von Produktehaftung, in der Schweiz im Sinne des PrHG. Somit steigt das haftpflichtrechtliche Risiko der Hersteller mit der Digitalisierung der Produkte, wobei bei der Produktehaftung noch verschärfend dazu kommt, dass es sich um eine Kausalhaftung handelt (s. dazu vorne).
«Autofirmen müssen sich noch an den Gedanken gewöhnen, dass die Haftung bei ihnen liegt, nicht mehr beim Fahrer».
BILANZ 03/2020, Prof. Sebastian Thrun, Stanford Uni
Eine interessante, noch nicht gelöste Frage kommt diesbezüglich in der juristischen Literatur noch auf, und zwar, wie es sich mit der Herstellerhaftung bei selbstlernenden Produkten verhält, also Produkte, die sich im Betrieb selbst weiterentwickeln. Denn gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. b PrHG kann sich der Hersteller damit entlasten bzw. haftet nicht, wenn er beweist, dass nach den Umständen davon auszugehen ist, dass der Fehler, der den Schaden verursacht hat, noch nicht vorlag, als er das Produkt in Verkehr brachte.
Haftung von E-Persons
S. dazu Kapitel 05.01 Personality – Identity
Insbesondere Haftung für selbstfahrende Autos
Insbesondere wegen des einleitend zu diesem Kapitel geschilderten Falles des unfallverursachenden Uber-Fahrzeuges wird aktuell häufig die Haftung bei selbstfahrende Autos diskutiert. Wenn nachfolgend von «selbstfahrenden Autos» die Rede ist, sind damit Autos mit Vollautomatisierung gemeint, bei denen das System die Fahraufgabe vollständig übernimmt und der Mensch das System nicht mehr überwachen muss. Bei diesen Autos gibt es keinen Lenker im herkömmlichen Sinne mehr. Der Lenker wird zum Passagier und verlässt sich auf das Produkt «Auto». Dieselbe Situation besteht ja heute bei einem Lift. Da gibt es auch keine Begleitpersonen, die damaligen «Liftboys» mehr. Vorstellbar ist höchstes noch, dass Passagiere bei offensichtlichen Fehler des Autos eingreifen müssen. Bei mehreren Passagieren stellt sich aber dann die Frage, welcher Passagier verantwortlich gewesen wäre. De facto, aber auch de iure fällt damit der Lenker als haftungsrechtlicher Verantwortlicher weg. Weiterhin möglicher haftungsrechtlicher Verantwortlicher bleibt jedoch der Halter des Fahrzeugs. Dieser haftet weiterhin (kausal; s. dazu vorne) nach Art. 58 SVG. In den stärkeren haftungsrechtlichen Fokus wird bei selbstfahrenden Autos, wie vorne ausgeführt, der Hersteller kommen, der nach PrHG (ebenfalls kausal) haftet.
Es kann festgestellt werden, dass die aktuellen Gesetze im Wesentlichen durchaus genügen, Schadensverursacher in die Pflicht zu nehmen. Effektiv ist es aber auch so, dass es im Rahmen der Digitalisierung neue Sachverhalte gibt, die nach neuen, auf diese Sachverhalte zugeschnittenen Regeln verlangen.
Einen detaillierten wissenschaftlichen Artikel zur Problematik der selbstfahrenden, insbesondere auch der selbstlernenden Fahrzeuge haben Melinda F. Lohmann und Markus Müller-Chen verfasst, in SZW 2017 S. 48 ff.