04 Verträge in digitalen Projekten
Übereinstimmende gegenseitige Willensäusserung
Das schweizerische Obligationenrecht (OR) regelt den Vertrag bereits in seinem ersten Artikel. Art. 1 OR bestimmt, dass zum Abschluss eines Vertrages die übereinstimmende gegenseitige Willensäusserung der Parteien erforderlich ist. Diese kann ausdrücklich oder stillschweigend* sein. «Gegenseitig» bedeutet, dass es für den Abschluss eines Vertrages mindestens zwei Parteien braucht. Es gibt aber auch multilaterale Verträge, die von drei und mehr Parteien abgeschlossen werden. Beim Abschluss eines Vertrages drücken die Parteien ihren Willen aus, Rechte und Pflichten einzugehen, die sogenannte «Willensäusserung». Diese Rechte und Pflichten müssen zudem «übereinstimmend», d.h. kongruent sein. Vereinfacht gesagt, müssen sich die Parteien betreffen der Rechte und Pflichten einig sein («Nothing is agreed, until everything is agreed»).
*Auch der Vertragsschluss durch konkludentes Verhalten ist möglich. Durch konkludentes Verhalten werden Vereinbarungen bzw. Verträge geschlossen, ohne dass die Parteien ihren Willen zum Vertragsschluss explizit ausdrücken. Sie verhalten sich so, dass nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 2 Zivilgesetzbuch, ZGB) davon ausgegangen werden muss, dass sie eine entsprechende Vereinbarung eingehen wollen. Der Abschluss eines Kaufvertrages für eine Zeitung bei einem Kiosk erfolgt in der Regel durch konkludentes Verhalten der Parteien. Der Kiosk legt eine Zeitung aus, die mit einem Preis versehen ist (➝ Angebot), der Kunde nimmt sie und legt sie auf den Tresen (➝ Annahme ➝ Vertragsschluss).
Angebot und Annahme
Faktisch kommt der Vertrag zustande, in dem die eine Partei ein Angebot bzw. eine Offerte abgibt und die andere Partei diese annimmt bzw. akzeptiert (Annahme). Die Dauer der Gültigkeit eines Angebots hängt davon ab, wie lange die andere Partei objektiv und nach Treu und Glauben Zeit braucht, das Angebot zu prüfen und darauf zu antworten. Je komplexer der Vertragsgegenstand, desto länger dürfte diese Frist sein. Aus juristischer Sicht ist es jedoch sehr empfehlenswert, Angebote zu befristen. Damit ist klar, bis wann die Gegenpartei die Offerte annehmen muss, was bei unbefristeten Angeboten regelmässig zu Diskussionen führt (Art. 4 ff. OR). Eine befristete Offerte kann jedoch grundsätzlich bis zum Ablauf der Frist nicht mehr widerrufen werden (Art. 3 OR). Dies könnte u.U. für den Anbieter ein Problem darstellen, wenn sich z.B. die Bedingungen ändern (z.B. eigene Einkaufspreise), insbesondere bei langen Fristen. Diesem Problem kann mit dem Vorbehalt des Widerrufs begegnet werden. Eine entsprechende Klausel könnte z.B. wie folgt lauten: «Diese Offerte gilt bis zum [Datum]. Ein Widerruf wird ausdrücklich vorbehalten.» Dann gibt es bezüglich dieses Punktes keine Diskussionen. Es ist ebenfalls möglich, ein unverbindliches Angebot bzw. eine unverbindliche Offerte abzugeben (Art. 7 Abs. 1 OR).
Gemäss Art. 7 Abs. 2 und 3 OR, Rechtssprechung und Literatur sind Angebote im E-Commerce immer dann verbindlich, wenn sie direkt heruntergeladen werden können (insb. Software, Musik, Videos, E-Books; unmittelbare Angebote). Müssen die Produkte jedoch per Post oder Kurier zugestellt werden oder werden die Dienstleistungen offline erbracht (mittelbare Angebote), sind die Angebote im E-Commerce unverbindlich. D.h. wenn der Kunde ein solches Angebot bestellt, gibt er seinerseits ein Angebot ab, jedoch dann ein verbindliches (!).
«Consideration» im anglo-amerikanischen Rechtsraum
Im anglo-amerikanischen Rechtsraum verlangt die Rechtsprechung neben einem Angebot und einer Annahme für den Abschluss eines Vertrages zudem eine sogenannte «Consideration». Erst mit einer Consideration wird ein Vertrag einklagbar. Die Consideration ist das Erfordernis einer Gegenleistung beim Abschluss von Verträgen. Beispielsweise übergibt beim Kaufvertrag der Verkäufer die Ware, während die Gegenleistung in der Zahlung des Kaufpreises durch den Käufer besteht. Ich habe aber den Eindruck, dass die Consideration praktisch keine grosse Bedeutung hat.
Verwendung Ausdrücke «Vertrag», «Vereinbarung»
Die Ausdrücke «Vertrag» und «Vereinbarung» sind synonym. D.h. für die Bezeichnung eines Vertrags kann sowohl der Ausdruck «Vertrag», als auch der Ausdruck «Vereinbarung» verwendet werden. Ich selber verwende den Ausdruck «Vertrag» eher für formelle, umfassende Vereinbarungen, den Ausdruck «Vereinbarung» eher für einfachere, kürzere Verträge. Dasselbe gilt übrigens auch für die englischen Bezeichnungen «Contract» (dt. «Vertrag») und «Agreement» (dt. «Vereinbarung»). In der englischen Sprache verwendet man für intergouvernementale Verträge, also Verträge zwischen Regierungen bzw. Ländern, auch die Begriffe «treaty» oder «covention». Diese Begriffe werden jedoch in privatrechtlichen Verhältnissen nie verwendet.