«Legal Tech» (engl. legal = dt. rechtlich; Tech kurz für engl. Technology = dt. Technologie) steht im weiten Sinne für die Digitalisierung der Rechtsbranche, also der Anwaltskanzleien, der Rechtsabteilungen von Unternehmen und der Justiz. Dazu gehört die digitale Vorbereitung von Rechtsberatung und Rechtsprozessen durch die Klienten selbst, die Digitalisierung der Kommunikation, z.B. durch Online-Beratung, die automatisierte Erstellung von Rechtsdokumenten, wie Verträge, sogar selbsterfüllende Verträge, sogenannte Smart Contracts, digitale Tools für die Dokumenten-Analyse, z.B. im Rahmen einer Due Diligence, künstliche Intelligenz (KI) zur Unterstützung von Rechtsanwältinnen und Richter, z.B. zur Berechnung der Prozesschancen- bzw. -risiken, die vollständige Digitalisierung der Justiz, bis hin zu automatisierten Gerichtsprozessen (sic!). Allgemein abgelehnt wird jedoch KI, die selbst Urteile fällt. Der letzte Entscheid muss bei Richterinnen und Richtern liegen.
Weltweit erstes virtuelles Gericht
Im Jahre 2017 hat in der chinesischen Stadt Hangzhou das wohl weltweit erste virtuelle Gericht seine Arbeit aufgenommen. Es ist zuständig für Streitigkeiten aus Online-Aktivitäten und befindet sich bezeichnenderweise in der Stadt, in der u.a. der IT-Riese Alibaba seinen Sitz hat. (LTO 29.09.2017 Chinas erstes Digitalgericht; Hangzhou Internet Court (China) – https://www.netcourt.gov.cn – Video CGTN (Chinesische TV-Station)
Es muss aber unterschieden werden zwischen digitalen Tools, die auch von der Rechtsbranche, z.B. Rechtsanwälten, verwendet werde, wie z.B. Textverarbeitungsprogramme, und digitalen Tools, die spezifisch für die Rechtsbranche entwickelt wurden und nur oder vorwiegend durch diese verwendet werden. Nur letztere gehören zur Legal Tech.
Mit Legal Tech bekommen klassische Anbieter von Rechtsdienstleistungen, wie Anwaltskanzleien und Treuhandgesellschaften, Konkurrenz von Legal Tech-Unternehmen, die ihre Dienste ausschliesslich auf Online-Plattformen anbieten. Beispielsweise besteht die Möglichkeit, sich Rat wegen Verkehrsbussen, verspäteter Flüge und Verwaltungsverfügungen einfach, schnell und günstig bei Online-Diensten zu holen. Solche sind z.B. FlightRight, DoNotPay, Winit und TurboAppeal. Das Geschäftsmodell dieser neuen Rechtsdienstleister basiert in der Regel auf einem hohen Grad oder nur der Automation von Standardfällen.
Studierende haben mich im Rahmen eines Interviews für eine Bachelor-Arbeit gefragt, wieso die Digitalisierung der Rechtsbranche so schleppend vorankommt. Die Antwort ist einfach. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte gehören zusammen mit den Ärztinnen und Ärzten zu den konservativsten Berufsleuten*. Bei letzteren wurde das Problem mit der Digitalisierung gerade in der Pandemie offensichtlich. Covid-Testresultate wurden effektiv per Fax an zuständigen Bundesstellen gesandt (sic!), was zu einem heillosen Durcheinander geführt hat. Es sind also nicht die Rechtsdienstleister selbst, die Legal Tech pushen, sondern die Nachfrager von deren Dienstleistungen, die Klienten, das Management und die Prozessparteien. Leistungen müssen für diese adäquater, transparenter, schneller und vor allem kostengünstiger sein. Dabei ist die User Experience absolut entscheidend.
*Dazu noch eine persönliche Anekdote. Als wir als junge Rechtsanwälte im Jahre 2000 eine reine Online-Rechtsberatung lanciert haben, erhob der Anwaltsverband des Kantons Bern gegen uns beim Anwaltsverband des Kantons Luzern eine standesrechtliche Beschwerde. Eine Online-Beratung, so die Berner Kollegen, sei absolut unseriös und eines Anwalts nicht würdig (sic!). Zwanzig Jahre später berate ich praktisch ausschliesslich online und ich bin auch nicht der einzige. Meine Klienten wollen einfach ihre Probleme gelöst haben und haben keine Zeit, bei mir vorbeizukommen. Übrigens. Die Luzerner Anwaltskollegen waren, mindestens zu dieser Zeit, offensichtlich fortschrittlicher, als ihre Berner Kollegen, und haben die Beschwerde a priori abgewiesen …
Für die Rechtsbranche selbst stellt sich die Frage, wie sie die Unmengen an Daten, Techniken, Tools, Wissen und Neuigkeiten einsetzen soll, um einen echten Mehrwert zu generieren.
Rechtsdienstleister, die Legal Tech verschlafen, werden in der Branche nicht mehr mithalten können und entweder in Nischen oder ganz verschwinden.